Selbst wenn Menschen ansonsten althergebrachte rituelle Handlungen scheuen, wie zum Beispiel das Weihnachtsfest mit den immer gleichen Handlungen, so kehren viele in Ausnahmesituationen zu Ritualen zurück.
Zum Beispiel, wenn ein geliebter Mensch von ihnen gegangen ist. Der regelmäßige Gang zum Friedhof kann zum Beispiel solch ein Ritual sein, dem man vorher mit Kopfschütteln begegnet – bis man selbst um einen geliebten Menschen trauert und dann feststellt, dass es beruhigend und tröstend wirken kann.
Solche sozial anerkannten Rituale wie der Gang zum Grab oder das regelmäßige Bestellen von Gottesdiensten, wie es bei Mitgliedern der katholischen Kirche auch heute noch üblich ist, geben Menschen in solchen Ausnahmesituationen ein Gefühl der Zugehörigkeit und der äußeren Sicherheit, etwas richtig zu machen. Man muss nicht darüber nachdenken, sondern man betritt Wege, die bereits viele Generationen zuvor gegangen sind. Und da war alles richtig, also ist es auch für mich richtig.
Entlastung durch Rituale
Rituale können also eine heilsame und entlastende Plattform in der Trauer anbieten. Ich muss mir selbst keine Gedanken machen, was richtig und falsch ist. Das tradierte Ritual lädt dazu ein, sich einer geliehenen Symbolik von Menschen anzuschließen, die das gleiche oder ähnliche Schicksal erlitten haben, vor mir, mit mir und auch noch lange nach mir.
In diesem Kontext von Gemeinschaftsgefühl findet man Trost und Halt. Man ist in solchen Momenten nicht alleine, sondern fühlt geradezu all die Menschen, die sich bereits auf dieses Ritual verlassen haben, in genau solchen Momenten des Verlusts und der tiefen Traurigkeit.
Man tut in bestimmten Momenten einfach bestimmte Dinge
Das, was man üblicherweise tut, ist sicher das, was richtig ist. Man kann sicher sein, dass man sich nichts Falsches vorwerfen muss – es ist mit solch einem sozial anerkannten Ritual alles gesagt und alles getan, was getan werden muss - und Punkt.
Rituale sind nicht einfach Gewohnheiten
Allerdings ist nicht alles ein Ritual nur weil etwas zur Gewohnheit gehört wie das abendliche Zähneputzen oder das Aufstellen eines Teelichts, wenn man sich in die Badewanne zurückzieht. Wir nennen es vielleicht Ritual – ist es aber nicht, weil einige wichtige Merkmale eines Rituals fehlen.
Zum Beispiel sollte ein Ritual eine Unterbrechung in der täglichen Routine sein. Es wird nicht einfach nebenbei erledigt, sondern bildet eine Zäsur im Tagesablauf. Es kommen bestimmte symbolische Handlungen zum Ausdruck, die vom Ablauf her das Ritual erklären und gleichzeitig aufzeigen, aus welcher Situation heraus, der Handelnde das Ritual benötigt.
Es braucht auch eine in sich stimmige Inszenierung. Zum Beispiel wird bei einer Erdbestattung der Sarg so platziert, dass der Kopf des Verstorbenen nochmals allen Trauernden zugewendet ist. Danach wird der Sarg mit den Füssen zuerst aus der Aufbahrungshalle herausgetragen.
Man geht auch in einer etwas feierlicheren Kleidung zu einer Bestattung als in den Alltagskleidern und eine Bestattung erfolgt in der Regel während eines ganz normalen Arbeitstages. Damit ruht alle tägliche Arbeit. Man lässt alles stehen und liegen, um dem Verstorbenen zu zeigen, dass er wichtig war für das eigene Leben und um ihm das letzte Geleit zu geben.
Sind Rituale zur Trauerbewältigung geeignet?
Solche uns vielfach bekannten Rituale dienen dazu, uns den Übergang ganz bewusst zu machen. Der Verstorbene gehört nun nicht mehr zu der Welt der Lebenden, sondern gehört zu der Welt der Toten und bleibt auf dem Friedhof oder an einem anderen Ort, wie dem Friedwald zurück, während die Lebenden nach der Zeremonie zu ihrer Welt zurückkehren.
Alles in allem kann ein Ritual Emotionen und Gedanken in solchen Trauermomenten stabilisieren. Rituale können Halt geben, wenn alles in Chaos und Verwirrung geraten ist und man keine Ahnung hat, ob und wie sich das jemals wieder ordnen könnte - ersetzt allerdings kein Zwiegespräch mit lieben Menschen oder einer Fachperson.
Eigene Rituale kreieren
Rituale haben Konjunktur. Keine Frage. Gleich ob man damit groß geworden ist oder man ihnen erst in ganz bestimmten Situationen begegnet. In bestimmten Lebensmomenten machen sie einfach Sinn.
Gerade in Trauerzeiten ist es allerdings auch stimmig, ganz eigene Rituale für sich zu finden. Mit manchen geht ein Trauernder viele Jahre – manche sind einmalig oder nach einer bestimmten Zeit nicht mehr wichtig.
Ich erinnere mich noch an eine Frau, die ihren Sohn mit 17 Jahren an eine unheilbare Krankheit verloren hatte. Der Sohn ging seinerzeit noch zur Schule und während seiner Erkrankung kamen Mitschüler am Nachmittag vorbei, fragten wie es ihm ginge und brachten Übungen und Hausaufgaben mit, damit ihm nicht zu viel Schulstoff verloren ging.
Das ist jetzt gut 20 Jahre her und die Mitschüler von damals haben selbst Familien und Berufe. Und trotzdem lassen sie es sich nicht nehmen, am Todestag ihres Freundes die Familie zu besuchen und einige Lieder auf der geliebten Gitarre des Freundes zu spielen. Es ist ein fest eingetragener Termin im Jahreslauf und es sind immer seine gleichen Lieblingslieder.
Das ist ein von allen Beteiligten kreiertes und inszeniertes Ritual. Natürlich erinnert es an den verstorbenen Freund – aber es hat noch eine andere Bedeutung. Es vereint und bietet Teilhabe an einer „verschworenen“ Gemeinschaft, die nur in dieser Besetzung genau dieses eine Ritual vollziehen kann.
Aber selbst kleine Rituale, wie der immer frische Blumenstrauss am gerahmten Foto des Verstorbenen oder der morgendliche kleine Fingerkuss, während man mit den Fingern an etwas liebevoll vorbeistreift, das einen an den Verstorbenen erinnert, sind wichtig, bringen Gefühle in Fluss und geben gleichzeitig Halt und Unterstützung.
Sie sagen: ich bin bei Dir, ich bin auf ewig mit Dir verbunden. Du bist in meinem Herzen.
Rituale sind eine Ergänzung zur Begleitung des Trauernden durch das Umfeld oder vielleicht sogar durch professionelle Trauerbegleitung. Wenn es für den Trauernden stimmt, dürfen an bestimmten Ritualen Menschen aus dem engsten Umfeld teilnehmen.
Es ist wichtig, den Trauernden wissen zu lassen, dass man gerne an einem wichtigen Tag bei einem Ritual Hilfestellung geben oder einfach dabei sein möchte. Allerdings sollte man es dem Trauernden selbst überlassen, ob er diese Unterstützung annimmt oder nicht.
Wie insgesamt in der Trauerverarbeitung ist es für Begleiter wichtig zu akzeptieren, was der Trauernde möchte. Weil nur er selbst weiß, was er überhaupt körperlich oder seelisch aushalten mag. Es kann durchaus auch eine Hilfe sein, wenn man sich als Begleitung während eines Rituals dezent im Hintergrund hält und einfach da ist, wenn man gebraucht wird.
Trotz aller guten Absicht ist es aber wichtig, in der Kommunikation mit dem Trauernden zu bleiben und nicht vorauszusetzen, dass zum Beispiel ein letztjähriges Ritual auch in diesem Jahr das Richtige für ihn ist.
Trauer verändert – beständig – jeden Menschen. Und so können Rituale in der Trauer viele Jahre Bestand haben oder aber sich einem neuen Leben ohne den Verstorbenen, anpassen und ebenfalls verändern.
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